SAWAL . SCHÜLLER . HANKE | Aufenthaltsrechtliche Folgen einer Scheidung zwischen EU-Staatsangehörigen und Drittstaatsangehörigen
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Aufenthaltsrechtliche Folgen einer Scheidung zwischen EU-Staatsangehörigen und Drittstaatsangehörigen

Aufenthaltsrechtliche Folgen einer Scheidung zwischen EU-Staatsangehörigen und Drittstaatsangehörigen

Kommt es zwischen einem EU-Staatsangehörigen und einem Bürger eines Drittstaates zur Scheidung, hat dies auch aufenthaltsrechtliche Folgen. Häufig sind davon minderjährige Kinder betroffen, weshalb in solchen Fällen geklärt werden muss, wie die Ausübung der elterlichen Sorge auch nach der Scheidung gewährleistet werden kann.

Dazu ein Beispielsfall aus unserer anwaltlichen Praxis:

Ein spanischer Staatsbürger ist mit einer Kolumbianerin verheiratet. Das Paar hat ein minderjähriges Kind, lebt zunächst in Deutschland und zieht dann für mehrere Jahre in die USA. Dort hat der Ehemann ein Arbeitsvisum, das auch den Aufenthalt der Ehefrau und des Kindes ermöglicht. Es kommt zur Trennung und zum Scheidungsverfahren in den USA. Anhängig ist auch ein Sorgerechtsstreit. Der Ehemann plant aus beruflichen Gründen die Rückkehr nach Deutschland. Da die (Noch-)Ehefrau bisher überwiegend die Betreuung des Kindes übernommen hat, will der Ehemann wissen, ob sie trotz Scheidung mit nach Deutschland ziehen kann. Die Ehefrau ist nicht berufstätig.

Rechtliche Einordnung:

Die Frage der (Wieder-)Einreise in das Gebiet der Europäischen Union richtet sich hier nach der EU-Freizügigkeitsrichtlinie 2004/38/EG vom 29.04.2004. Deutschland hat diese Richtlinie in nationales Recht umgesetzt (Gesetz über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern, FreizügG/EU).

Unproblematisch ist die Einreise des spanischen Ehemannes und des Kindes, das ebenfalls die spanische Staatsangehörigkeit besitzt. Beide üben durch den Zuzug nach Deutschland ihr Freizügigkeitsrecht innerhalb der EU aus.

Besteht eine Ehe mit einem Drittstaatenangehörigen, gebietet der Schutzbereich dieses Freizügigkeitsrechts, dass der Ehepartner davon profitiert. Das Freizügigkeitsrecht des Unionsbürgers würde ins Leere laufen, wenn sein drittstaatenangehöriger Ehepartner ihn nicht begleiten dürfte.

Gleichwohl bekommt der Ehepartner kein eigenständiges, sondern nur ein abgeleitetes Aufenthaltsrecht zugesprochen. Bescheinigt wird es durch die sog. EU-Aufenthaltskarte, die in der Regel für mehrere Jahre gültig ist.

In unserem Beispielsfall besitzt die kolumbianische Ehefrau eine solche – noch gültige – Karte aufgrund des früheren Aufenthalts in Deutschland.

Damit ist jedoch nicht geklärt, ob eine Wiedereinreise möglich ist.

Die EU-Aufenthaltskarte hat rein deklaratorischen Charakter, sie beinhaltet kein eigenständiges Aufenthaltsrecht. Entfallen die Voraussetzungen für die Erteilung der EU-Aufenthaltskarte, kann sie jederzeit eingezogen werden. Im Beispielsfall stellen sich zwei Probleme. Zum einen aufgrund des Zeitfaktors: der Ehemann hat mit dem Umzug in die USA aufgehört, sein EU-Freizügigkeitsrecht auszuüben; das Ehepaar hat den Schutzraum der EU-Freizügigkeitsrichtlinie längerfristig verlassen. Zum anderen steht die Scheidung bevor. Besteht eine Ehe, gilt sie grundsätzlich als schützenswert, selbst noch während der Trennung. Sobald sie rechtskräftig geschieden ist, ist aber ein „Begleiten“ des EU-Staatsbürgers bei einem erneuten Zuzug in das Unionsgebiet ausgeschlossen.

Eine Einreise der Ehefrau ist vor diesem Hintergrund ein sehr unsicheres Unterfangen.

An dieser Stelle offenbart sich eine Lücke in der EU-Freizügigkeitsrichtlinie, nämlich dann, wenn minderjährige Kinder betroffen sind, die zu einem erheblichen Teil von dem Elternteil betreut werden, der die Drittstaatenangehörigkeit besitzt.

Zwar gestattet die Richtlinie den Nachzug von Angehörigen des EU-Bürgers, und zwar auch in aufsteigender Linie (z.B. Eltern). Die kolumbianische Ehefrau ist Mutter eines Kindes mit (spanischer) Unionsbürgerschaft, also eine Verwandte in aufsteigender Linie. Dennoch kann sie ihr Kind, das von seinem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch macht, indem es nach Deutschland zieht, nicht im Sinne der EU-Richtlinie „begleiten“. Grund ist, dass die Richtlinie eine andere Fallkonstellation im Blick hatte: die der betagten Eltern eines erwachsenen EU-Bürgers, der durch eigene Erwerbstätigkeit in der Lage ist, seine Eltern aus einem Drittland nachzuholen und finanziell abzusichern.

Im Ergebnis bedeutet das, dass minderjährige EU-Bürger gezwungen wären, auf ihren Drittstaaten-Elternteil zu verzichten, sobald die Ehe der Eltern scheitert und sie mit dem anderen Elternteil ihr Freizügigkeitsrecht ausüben. Da dies aber gerade minderjährigen Kindern je nach Fall kaum zugemutet werden kann, würde ihr Freizügigkeitsrecht praktisch jeden Wert verlieren.

Inzwischen spielen derartige Fälle in komplexen Varianten eine zunehmende Rolle, wurden dem EuGH mehrfach vorgelegt und von diesem zur Rechtsfortbildung genutzt. Das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) greift diese Rechtsprechung in seinem wegweisenden Urteil vom 12.07.2018 (Az. 1 C 16.17) auf. Nach dem EuGH kann „bei Vorliegen ganz besonderer Sachverhalte“ ausnahmsweise  ein eigenes unionsrechtliches Aufenthaltsrecht sui generis nach Art. 20, 21 AEUV (Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union) bestehen. Gemeint sind Fälle eines besonderen Abhängigkeitsverhältnisses zwischen einem minderjährigen Unionsbürger zum drittstaatsangehörigen Elternteil, wenn die Versagung eines Aufenthaltsrechts für diesen Elternteil dazu führen würde, dass das Kind faktisch gezwungen wäre, dem Drittstaatsangehörigen bei der Ausreise aus dem Unionsgebiet zu folgen und mit ihm im außereuropäische Ausland zu verbleiben.

Von der Zielsetzung her stärkt diese Rechtsprechung vorrangig das Freizügigkeitsrecht von (minderjährigen) Unionsbürgern und gewährt quasi als Nebenprodukt ein spezielles und auf Ausnahmefälle beschränktes Aufenthaltsrecht.

In der Praxis deutscher Behörden ist dies bisher eher unbekannt. Soll eine Einreise auf seiner Basis stattfinden (Visumerfordernis) oder ein schon bestehender Aufenthalt im Inland verlängert und rechtlich abgesichert werden, ist eine sehr gute Begründung erforderlich. Im Zentrum stehen dabei Fragen der tatsächlich ausgeübten elterlichen Sorge, der Gestaltung des familiären (Zusammen-)Lebens, der Unterhaltssicherung und der Herkunft der finanziellen Absicherung.

Ihre Bettina von Auer, Rechtsanwältin



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