SAWAL . SCHÜLLER . HANKE | Saada Golan international child abduction Supreme Court decision
Saada Golan internaitonal child abduction Supreme Court decision interantionale Kindesentführung Schutzvorkehrungen alternative remedies Rückführung Kind Kinder Entführung Verbringung Removal Retention
24511
post-template-default,single,single-post,postid-24511,single-format-standard,hazel-core-1.0.4,translatepress-de_DE,ajax_fade,page_not_loaded,,select-theme-ver-4.3,wpb-js-composer js-comp-ver-6.0.5,vc_responsive
 

Die Entscheidung des US-Supreme Court zum HKÜ: Golan vs. Saada

Die Entscheidung des US-Supreme Court zum HKÜ: Golan vs. Saada

Fast unbemerkt von der breiteren Öffentlichkeit hat der Supreme Court der Vereinigten Staaten eine wichtige Entscheidung zur Behandlung von Kindesrückführungsverfahren auf Grundlage des HKÜ getroffen.

Vorangestellt sei, dass das sog. Haager Kindesentführungsübereinkommen welches auch in den USA Anwendung findet uneinheitlicher Interpretation in den verschiedenen Gerichtsbezirken unterliegt. Die unterschiedliche Auslegung des HKÜ in den einzelnen Gerichtsbezirken weicht mitunter erheblich voneinander ab. Bei Fällen internationaler Kindesentführung ist mithin – anders als in Deutschland – der Verbringungsort teilweise entscheidend für die Frage der rechtlichen Handhabe durch die Gerichte.

Das höchste US-amerikanische Gericht hat sich in der Entscheidung Golan vs. Saada mit einer Entscheidung eines New Yorker Gerichts zu befassen, welches trotz vorliegens von Gründen nach Art. 13 HKÜ, also der Gefahr für das Kindeswohl bei Verbringen in den Herkunftsstaat, die Rückführung des Kindes angeordnet hatte unter Maßgabe der sog. “alternative remedies” also von Schutzvorkehrungen für den Fall der Rückkehr.

Zum Hintergrund:

Die Antragstellerin Golan, amerikanische Staatsbürgerin und der Antragsgegner Saada, italienischer Staatsbürger, waren verheiratet und lebten bis 2016 mit ihrem gemeinsamen Sohn in Italien. Im Jahr 2018 reiste Golan mit ihrem Sohn in die Vereinigten Staaten. Anstatt nach Italien zurückzukehren, zog sie in eine Unterkunft für Opfer von häuslicher Gewalt. Hintergrund war die wiederholte Misshandlung, welche Golan durch Saada während ihrer Beziehung erfahren hatte.

Saada beantragte daraufhin bei einem amerikanischen Gericht auf Grundlage des Haager Übereinkommens über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung die Rückführung des Sohnes. Dieses kam zu dem Ergebnis, dass bei einer Rückführung nach Italien grundsätzlich eine schwerwiegende Gefahr gemäß Art. 13 Abs. 1 b) für den Sohn anzunehmen sei, da es Nachweise für die Gewalttätigkeit Saadas gab und anzunehmen war, dass der Sohn hiervon Schäden getragen haben könnte oder in Zukunft tragen könne.

Dennoch wies das Gericht die Rückführung des Sohnes an. Diese stütze es auf eine Präzedenzentscheidung des Berufungsgerichtes, nach der vor Verweigerung einer Rückgabe des Kindes alle in Frage kommenden Möglichkeiten in Erwägung gezogen werden müssen, um ein Kind an seinem gewöhnlichen Aufenthaltsort vor den ihm drohenden Gefahren zu schützen. Nach Auffassung des Gerichtes war es möglich, das Risiko eines körperlichen und seelischen Schadens des Kindes durch Schutzvorkehrungen so gering zu halten, dass ein Verbleiben des Kindes in den USA nicht gerechtfertigt war.

Da das Berufungsgericht die angeordneten Schutzvorkehrungen nicht für ausreichend hielt, wies es den Rechtsstreit an das erstinstanzliche Gericht zurück, stimmte der Rückführung jedoch schlussendlich zu, nach dem weitere Abhilfemaßnahmen zum Schutz des Kindeswohls in Italien angeordnet wurden.

Daraufhin zog Golan vor den Supreme Court um klären zu lassen, inwieweit das Vorhandensein von möglichen Schutzvorkehrungen die Behörden verpflichtet, die Rückführung des Kindes anzuordnen..

Die Entscheidung:

Der Supreme Court (Ri Sotomayor) spricht den Gerichten grundsätzlich ein Ermessen hinsichtlich der Frage zu, ob bei einer zu befürchtenden Gefahr für das Kindeswohl dem Antrag auf Rückführung des Kindes stattgegeben wird oder nicht. Dabei tritt es der Ansicht des Berufungsgerichts entgegen, nach der grundsätzlich sämtliche in Betracht kommende Abhilfemaßnahmen in die Ermessensausübung miteinbezogen werden müssen. Dies ergebe sich weder aus dem Wortlaut, noch sonstigen, dem Haager Übereinkommen zugrundeliegenden Grundsätzen. Ebenso wenig folgt er dem Argument Saadas, die Frage, ob dem Kind ein Schaden drohe, könne nur unter Berücksichtigung von eventuellen Schutzmaßnahmen beantwortet werden.Der Supreme Court unterscheidet hier zwischen der Frage des Vorliegens einer ernsthaften Gefahr von der Frage möglicher Schutzmaßnahmen. Er erkennt jedoch an, dass bei der Frage der Wirksamkeit und Angemessenheit der Maßnahmen, oft mitberücksichtigt werden muss, wie schwer eine Gefahr für das Kind sei.

Auch aus der zum Teil zusammenfallenden Prüfung könne jedoch keine Verpflichtung entnommen werden, kategorisch alle in Betracht kommenden Schutzmaßnahmen in Erwägung zu ziehen und zu prüfen. Dennoch müssten zumindest die Maßnahmen Berücksichtigung finden, welche entweder von den Parteien vorgetragen wurden oder sich geradezu aufdrängten.

Insgesamt hat der Gerichtshof darüber hinaus folgende, weitere Grundsätze für die Ermessenausausübung aufgestellt:

1. Eine Einbeziehung der Abhilfemaßnahmen in die Ermessensausübung hat stets im Lichte der Ziele des Haager Übereinkommens zu erfolgen. Eine generelle Anordnung ein Kind zurückzuschicken, sofern Schutzmaßnahmen ersichtlich sind, wird diesen nicht gerecht. Hauptziel des Haager Übereinkommens sei der Schutz der Interessen von Kindern und ihren Eltern, nicht die Rückführung eines Kindes an seinen gewöhnlichen Aufenthaltsort um jeden Preis. Als Beispiel hierfür nennt der Gerichtshof sexuelle und andere körperliche oder psychische Misshandlungen, eine schwere Vernachlässigung des Kindes und häusliche Gewalt, welche in vielen Fällen nicht ohne weiteres verhindert werden können, wenn das Kind zu dem Elternteil zurückgeführt werde.

2. Da bei den anzustellenden Erwägungen die physische und psychische Gesundheit des Kindes im Vordergrund steht, ist die Anordnung von Schutzmaßnahmen abzulehnen, wenn anzunehmen ist, dass diese nicht befolgt werden oder ausreichend umgesetzt werde können.

3.Des weiteren ist bei der Ermessenausübung zu beachten, dass das Übereinkommen die Entscheidung über eine Rückführung strikt vom Sorgerechtsstreit trennt und ein solches betreffende Fragen demnach nicht durch die Anordnung von Abhilfemaßnahmen mitgeregelt werden dürfen.

4. Zudem ist Art. 11 des Übereinkommens zu beachten, welcher bei der Entscheidung über eine Rückführung ein schnelles Vorgehen vorschreibt, um Rechtssicherheit insbesondere auch hinsichtlich der Festlegung des Sorgerechts zu schaffen. Bereits aus Zeitgründen sei eine umfassende Erwägung von Abhilfemaßnahmen im Rahmen einer Ermessenausübung deshalb oft nicht angebracht, welche die Gefahr einer unangemessenen Verzögerung bei der Entscheidung über Rückgabeanträge birgt.

Im Fall Golan v. Saada entschied der Supreme Court, dass die Rückführungsfrage erneut vom Ausgangsgericht entschieden werden müsse. Dieser habe seine ursprüngliche Entscheidung nicht unter Zugrundelegung der vorgenannten Ermessensgrundsätze getroffen, sondern maßgeblich auf die Entscheidung des Berufungsgerichts gestützt, welches eine Erwägung aller möglichen Abhilfemaßnahmen vorgeschrieben hatte und somit dem Rückgabebegehren einen Vorrang vor dem Kindeswohl eingeräumt hatte. Eine erneute Entscheidung nach Maßgabe der korrekten rechtlichen Standards sei somit angebracht.

Bedauerlicherweise kann in dieser Angelegenheit eine weitere Entscheidung die Berufungsgerichts nicht ergehen, da die Mutter, die Antragsgegnerin Saada, im Herbst 2022 verstorben ist.

Die Anwendung des Konzepts “Schutzvorkehrungen” (was dies genau sein sollte blieb übrigens offen) bei der Frage der Rückführungen zu berücksichtigen, findet, wie der Supreme Court herausarbeitet, keine Grundlage im HKÜ. Entweder liegen die Voraussetzungen des Art. 13 HKÜ vor, oder eben nicht. Die Gericht bürden im Übrigen den Beteiligten aber insbesondere den betroffenen Kindern durch die vollkommen überzogene Verfahrensführung (die mündliche Verhandlung in der ersten Instanz zog sich über 9 Tage !) extreme finanzielle Lasten auf und die dadurch verusachte Verfahrensdauer steht im krassen Gegensatz zu den vorgegebenen 6 Wochen pro Instanz (insgesamt also 12 Wochen).

Sollten SIe Fragen zu diesem Thema haben, freuen wir uns auf Ihre Nachricht.

Ihr,
Dr. Andreas Hanke









DE